Wie zivilisiert sind Zivilisationskranke


Nach einer etwas älteren Statistik haben die Bewohner der ehemaligen BRD allein in einem Jahr 9 Milliarden Liter Bier getrunken, 1. 5 Milliarden Liter Wein und Sekt und 5 Millionen Liter Schnäpse und Liköre. Dazu haben sie 128 Milliarden Zigaretten geraucht und sich nebenbei noch 655 402 Tonnen Schokolade und Zuckerwaren einverleibt. Es ist dies der Stoff, aus dem die "Zivilisations"-Krankheiten sind.
Unser Problem ist, daß wir zwar zivilisiert sind, aber nicht kultiviert genug, um mit den Errungenschaften der Zivilisation umzugehen. Die Tatsache, daß wir Autos fahren und Fahrstühle benutzen, besagt leider nicht, daß wir über den Neandertaler in wesentlichen Dingen unseres Menschseins hinausgekommen sind. Wir sind auch noch nicht soweit entwickelt, daß wir ganz darauf verzichten können, zu Fuß zu gehen. Aber wir kommen diesem Zustand schon recht nahe. Immerhin halten sich, vor allem in den Städten, viele Menschen schon bis zu 23 Stunden in geschlossenen Räumen auf. Vom Schlafzimmer gehen sie morgens ins Bad, fahren im Auto in die Tiefgarage, sitzen in einem Büro oder stehen im Laden, verbringen ihren Feierabend im Wohnzimmer, im Kino oder im Wirtshaus, sitzend natürlich, und abends legen sie sich wieder ins Bett. Bei all dem wird nur ein Zehntel der Muskeln bewegt, die der Mensch von der Natur nicht ohne Sinn mitbekommen hat. Ganz zu schweigen von der Haut, die keine Sonne, keinen Wind und keine Regennäße mehr kennt. Kein Wunder, daß da bei manchen manches nicht mehr funktioniert: der Darm ist träge, die Haut zu trocken, die Muskeln schlaff, der Rücken krumm, und falls jemand überhaupt noch ein paar Treppenstufen steigen muß, bricht ihm der Schweiß aus und er schnappt nach Luft. Für teures Geld werden dann Abführmittel, Schlaftabletten, Kosmetikprogramme, Vitamine und Mineralstoffe eingekauft, dabei hilft all das nur halb soviel wie ein zügiger Spaziergang oder eine leichte Arbeit im Freien.
Unter dem Strich steht schließlich: Herzinfarkt, Leberzirrhose, Lungenkrebs, Diabetes, hoher Blutdruck. Ist eine Zivilisation ohne diese Zivilisationskrankheiten wirklich nicht denkbar? Ist es der Preis der Freiheit, daß sich die Menschen gefährden dürfen, soviel sie wollen?
Vor ein paar Jahren verglich man einmal die Lebenserwartung in den beiden US-Bundesstaaten Nevada und Utah. Man stellte fest, daß die Bewohner von Utah im Durchschnitt 73 Jahre alt wurden, die Bewohner von Nevada hingegen nur 69 Jahre, und das, obwohl die Menschen in beiden Staaten etwa den gleichen Lebensstandard hatten, das Verhältnis von ländlichen zu städtischen Gegenden in beiden Bundesstaaten etwa gleich ist, ja selbst das Klima nicht sehr verschieden ist. Eine weitere Analyse der Zahlen ergab, daß in Nevada mehr Menschen an Lungenkrebs und Leberzirrhose gestorben waren als in Utah, an jenen Krankheiten also, die nachweislich bei Rauchern und Trinkern gehäuft vorkommen. Nun war der Grund für die Unterschiede in der Lebenserwartung in den beiden US Bundesstaaten klar. Denn Utah ist vor allem von Mormonen besiedelt. Und den Mormonen ist der Genuß von Alkohol von Glaubens wegen verboten, und sie rauchen weniger!
Ihr Leben liegt in Ihrer Hand! Das gilt heute mehr als zu irgendeinem Zeitpunkt in der Geschichte des Menschen. Wenn man von den Unfällen absieht, sind drei von vier Todesfällen bei Erwachsenen auf Krebs oder Arteriosklerose zurückzuführen. Lungen- und Kehlkopf-, ja selbst möglicherweise Blasenkrebs sind aber Krebsarten, die durch exzessives Zigarettenrauchen hervorgerufen werden, ebenso die Arteriosklerose. Herz- und Gehirninfarkte sind oft Folgen hoher Blutdruckwerte, eines Diabetes oder anderer Stoffwechselstörungen. So tickt in vielen Menschen eine Zeitbombe. Die Möglichkeiten zu ihrer Entschärfung sind aber besser denn je!
Man sollte bei den Appellen für eine "gesunde" Ernährung und für ein Leben in körperlicher und geistiger Bewegung unterscheiden, ob diese Appelle berechtigt sind oder ob sie einem, weil man sich ihnen kaum noch entziehen kann, auf die Nerven gehen. Manch einer, dem etwas auf die Nerven geht, wird trotzig. Je mehr die Gesundheitspropaganda auf ihn einhämmert, desto mehr versucht er, Individuum zu bleiben - und raucht und trinkt weiter und setzt sozusagen gewissenlos Fett an. In vielen anderen Bereichen, wo es um Anpassung und von außen erwünschte Verhaltensänderung geht, reagiert der moderne Mensch oft ebenso.


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