Einleitung


Wenn man sich in die biochemische Persönlichkeits- und Psychosenforschung einigermaßen eingearbeitet hat, dann frappieren zwei Sachverhalte: zum einen die Heterogenität der Untersuchungsmethoden und Ergebnisse. Und zum anderen, das - merkwürdigerweise friedliche - Nebeneinander zweier offenbar verschiedener Forschungstraditionen, nämlich einer, die an der Verteilung von Transmittern, ihren Metaboliten oder auf- und abbauenden Enzymen im Gehirn interessiert ist - einem sehr differenzierten Ansatz also, den ich hier "Laborforschung" nennen möchte. Dabei wird in der Regel mit Versuchstieren gearbeitet. Eine zweite Tradition in der biochemischen Psychoseforschung besteht darin, ganz globale Messungen der genannten Parameter in Urin und Serum und Zuordnungen dieser Werte zu Verhaltensdaten vorzunehmen, dies dann meist im Sinne einer "Feldstudie" am Menschen. Ich will diesen Ansatz deshalb als "Feldforschung" bezeichnen.
Diese Zweigleisigkeit der biochemischen Hirnforschung ist durch den heutigen Methodenstand bedingt. Beide Forschungsrichtungen haben außerdem erhebliche Schwächen, die so grundlegend sind, daß sie vom praktizierenden Forscher im allgemeinen verdrängt werden.
Da ist zum einen der alte Kritikpunkt, daß Tierversuche allenfalls mit Vorsicht auf die Situation beim Menschen übertragen werden sollten. Dies gilt ganz besonders für Forschungen am Gehirn. Denn es ist höchst unwahrscheinlich, daß Ratten und Schweine, bei denen es weder Sprache, höhere geistige Funktionen noch Psychosen gibt, die gleiche biochemische Informationsverarbeitung haben wie der Mensch, zumal bekannt ist, daß die verschiedenen Spezies bereits in der Peripherie bedeutende Differenzen ihrer Enzymausstattung aufweisen. Ja selbst für die verschiedenen Stämme ein und derselben Spezies wurden bezüglich der Hirnenzyme genetisch bedingte Unterschiede festgestellt (Ciaranello und Axelrod 1973, Bellin und Sorrentino 1974, MacPike und Meier 1976, Ross et al. 1976, Stolk et al. 1980). Von Problemen postmortaler Veränderungen und den Risiken methodenbedingter Artefakte gar nicht zu reden.
Zum anderen ist höchst unwahrscheinlich, daß Messungen in Urin oder Serum - und zwar immer nur weniger Parameter - das differenzierte Zusammenspiel verschiedener Hirmareale und Metaboliten beim Zustandekommen komplexen menschlichen Verhaltens repräsentieren sollen, zumal hier die Peripherie fast unkalkulierbare Einflüsse auf die Messungen ausüben dürfte. Es wurde zum Beispiel beschrieben, daß der Gehalt des Serotonin-Metaboliten 5-Hydroxyindolessigsäure sogar im Liquor durch gastrointestinale Einflüsse verändert werden kann. Erst recht gilt entsprechendes für den oft untersuchten 3-Methoxy-4-hydroxyphenylglykol (MHPG) im Urin, wovon - einmal anders ausgedrückt - 40 bis 80 Prozent nicht aus dem Gehirnstoffwechsel stammen (vgl. Mass und Leckman 1983).
Das schnelle Altern und "Überholtsein" von Ergebnissen der differentiellen, mehr biologischen "Laborforschung" und die Inkonsistenz der Ergebnisse der globalen, mehr psychologisch-psychiatrischen "Feldforschung" zeigen deutlich, daß die genannten Bedenken nicht nur theoretisch sind.


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