Zur Arbeitsweise in der Wissenschaft
(Es menschelt halt überall)


In diesem Buch wird das Programm eines biochemisch mehrdimensionalen Forschungsansatzes vertreten. Nun ist in der Forschung die Untersuchung mehrerer biochemischer Parameter an einer Stichprobe zwar immer wieder realisiert worden. Jedoch was nützt es! Die Bestimmung mehrerer Enzymparameter an einer Stichprobe verliert ihren Sinnzusammenhang, wenn die Ergebnisse - wie meist üblich - für jedes einzelne Enzym in verschiedenen Publikationen erscheinen.
Diese Eigentümlichkeit, Ergebnisse sozusagen "in Aliquots" dem Wissenschaftler mitzuteilen, hängt wohl mit der Struktur des US-amerikanischen "way of science" zusammen, wo die einzelnen Forschungsanstalten bekanntlich nicht ausschließlich staatlich finanziert werden wie bei uns. Das aber bedeutet, daß sie für das Geld, das sie bekommen, besonders viel vorweisen müssen.
Gegen diese "Leistungs-Wissenschaft" wäre an sich nichts einzuwenden - im Gegenteil: sie hebt sich auf den ersten Blick sogar vorteilhaft gegen unsere Beamten-Wissenschaft ab - aber sie hat den ganz entscheidenden Nachteil, daß in ihr offenbar ein deutlicher Zwang vorhanden ist, viel zu publizieren und im Gespräch zu bleiben - notfalls auf Kosten der gedanklichen Qualität dieser Veröffentlichungen. Denn es scheint oft weniger die Integrierung der Einzeldaten in ein Gesamtkonzept maßgeblich zu sein, als vielmehr das Überzeugen von singulären Ergebnissen durch Wiederholung. Im Bemühen, die alten Daten immer wieder als "neue Ergebnisse" aufleuchten zu lassen, kommt es dann zu manchmal verwirrenden Satzumstellungen. So lesen wir bei Buchsbaum, Haier und Murphy (1977): "All six low MAO male probands with suicide or suicide attempts in their families were augmenters" (S.75). Und bei Coursey, Buchsbaum und Murphy (1979) steht: "Among the low MAO augmenters, six subjects had relatives who had attempted suicide..." (S.377).
Manchmal wird aus ein und demselben Datensatz eine Vielzahl von Veröffentlichungen angefertigt und möglichst über mehrere Jahre verteilt. So beruhen die Arbeiten Buchsbaums anscheinend vor allem auf einem circa 1975 erhobenen Datensatz, auf den dann bis in das Jahr 1981 hinein - selbstverständlich verknüpft durch ein dichtes Netz von Selbstzitierungen - Bezug genommen wird (Buchsbaum, Coursey und Murphy 1976, Murphy, Wright, Buchsbaum, Nichols, Costa und Wyatt 1976b, Buchsbaum, Haier und Murphy 1977, Buchsbaum und Murphy 1977, Murphy, Belmaker, Buchsbaum, Martin, Ciaranello und Wyatt 1977b, Buchsbaum, Murphy, Coursey, Lake und Zeigler 1978, Coursey, Buchsbaum und Murphy 1979, Haier, Murphy und Buchsbaum 1979 und so weiter).
Allein im Jahr 1976 veröffentlichten zum Beispiel auch die israelischen Forscher Belmaker und Ebstein drei homologe Arbeiten in den Zeitschriften "British Journal of Psychiatry", "Journal of psychiatric Research" und "Acta psychiatrica scandinavica".
Dieses Vorgehen hat nicht nur zur Folge, daß der gedankliche Zusammenhang bestimmter Forschungsprojekte verloren geht, sondern daß außerdem der "Literaturmarkt" - und damit auch die Aufnahmekapazität des "Verbrauchers" - nur unnötig belastet wird. Eine Folge davon ist die Rezipierung der Literatur über Sekundärquellen oder "Reviews".
Dadurch wiederum passieren Faux-pas, die man nicht frei von Amusement durch die Literatur hindurch verfolgen kann. Ich will dem Leser hierfür ein Beispiel aus der DBH-Forschung geben. Dazu greife ich den Namen Horwitz et al. (1973) aus der Menge der Mitteilungen heraus. Denn der Name dieses Autors macht den Rezensenten seiner Arbeit offenbar erhebliche Schwierigkeiten. Da diese Veröffentlichung eine der ersten ist, die einen Zusammenhang zwischen DBH und sympathischer Nerventätigkeit ziemlich kategorisch bestreitet, wird sie relativ häufig zitiert, zum Beispiel von Reid und Kopin (1974), Ogihara und Nugent (1974), Ogihara et al. (1975), Lamprecht et al. (1975), Brown und Coleman (1975), Winer und Carter (1977), van Cauter und Mendlewicz (1977) oder Strandman et al. (1978). 1974 bereits wird aber die Arbeit im Literaturverzeichnis von Mattsson et al. (1974) zwar noch richtig mit "Horwitz et al. (1974)" zitiert, im Text ist jedoch - musikalisch feinsinnigerweise - von Horowitz die Rede. In weiteren Literaturverzeichnissen von Schanberg und Kirshner (1976) und Weinshilboum (1979) wird dann ebenfalls Horowitz et al. (1973) geschrieben. Goldstein und Cubeddu (1976) variierten den Namen zu Horvitz et al. (1973) und eine neuere Version von Honecker et al. (1981), die Horowith lautet, läßt für die Zukunft noch einige Abwechslung bezüglich dieses Namens erwarten. Die letztzitierte Arbeit bietet darüber hinaus weitere Namensvariationen an: Es werden in ihr die Forscher Markianos zu "Markanios", Hidaka zu "Kidaka" und Ohuchi zu "Okucji".
Das sind gewiß Kleinigkeiten, aber sie nähren den Verdacht, daß in manchen Forschergruppen die Originalliteratur nicht ausreichend und vor allem nicht kritisch genug studiert wird. Ein schlimmes Literaturverzeichnis liefern Petty und Sherman (1982). Sie schaffen es tatsächlich, in einem einzigen Literaturverweis fünf Fehler unterzubringen und zwar bei Zimmer et al. (1981).
Dabei ist es manchmal Allzumenschliches, was zum Untergang einer Quelle führt. So zum Beispiel, wenn die das Literaturverzeichnis tippenden Sekretärinnen anscheinend Schwierigkeiten haben, die Schrift ihrer Chefs lesen zu können. Auf diese Weise wird dann ein Artikel im "Life Sciences" 11, I (1972), 581-585, der von Chou C. und Wurtman R. verfaßt wurde, im Lauf der Zitierungen von Cohn C. K. und Wintmare R. geschrieben. Galon, in der Arbeitsgruppe von Belmaker et al. (1977), wird so bei Duncavage et al. (1982) zu Jahm, oder Matussek in einer Publikation von Markianos et al. (1976) wird bei Baron et al. (1982c) zu Matiessek.
Zur Ehrenrettung der "Horowitz-Forscher" sei zum Schluß aber gesagt, daß ein(e) Forscher(in?) namens Mardi J. Horowitz tatsächlich existiert. Er - oder sie? - untersuchte mit einer Stephanie S. Becker zusammen unter anderem die psychologischen Reaktionen ihrer Versuchspersonen auf Pomofilme (Horowitz und Becker 1973).
Bleibt also nur noch zu hoffen, daß sich weitere Verwechslungen - zum Beispiel mit dem zu Breier et al. (1981) gehörenden Mitarbeiter Hirschowitz - in Grenzen halten!
Eine weitere, besonders obskure Gepflogenheit in der biochemischen Psychoseforschung ist es, in Arbeiten Behauptungen aufzustellen, die auf einer "written communication", einer "personal observation" oder auf der Zitierung einer eigenen Arbeit beruhen, die angeblich "in press", "in preparation" oder gar nur "submitted for publication" ist. Im Literaturverzeichnis der Arbeit von Murphy et al. (1974) kommen eigene Arbeiten dieser Gruppe, die "in preparation" sind, gleich dreimal vor, wobei dann im Text penetranterweise immer wieder auf diese virtuellen Arbeiten verwiesen wird.
Manchmal werden in den Publikationen auch "preliminary experiments" mitgeteilt, die dann im einzelnen nicht näher vorgestellt werden. Bei Groshong et al. (1978) wird auf eine Zusammenfassung vergangener Arbeiten zur MAO-Messung bei Schizophrenen tatsächlich folgendermaßen verwiesen: "A-L Ask et al., unpublished data, 1978".
Besonders privat scheinen die bereits erwähnten Horowitz und Becker im Zusammenhang mit einem etwas anderen Thema zu ihrem Wissen gelangt zu sein. In den Archives of general Psychiatry meinen sie: "The second film depicts a loving, young heterosexual couple enjoying sexual intercourse. In sex education courses it has been noted to be particularly pleasurable, erotically arousing, and yet conveys no limits of perversion (P. Miller, MD, oral communication, June 1972)" (S.82). Mit solchen Aussagen und Quellenangaben parodiert sich Wissenschaft selbst. Fehlt nur noch, daß in der Klammer steht: Party at Miss Miller, drinking a glass of Sherry.
Man gestatte mir an dieser Stelle, doch noch einmal auf den US-amerikanischen Wissenschaftsbetrieb zurückzukommen, da ihm aufgrund einer merkwürdigen Nachkriegskonvention eine Führungsrolle zugestanden wird.
Wodurch er sich zum Beispiel vom deutschen Wissenschaftsbetrieb zugegebenermaßen unterscheidet, ist eine gewisse, ich möchte mal sagen: "Unkompliziertheit" im Erstellen vereinfachender bis gewagter Thesen, wobei die Abgrenzung zum Gag nicht immer scharf ist. Diese machen dann allgemein "Furore" und ziehen zahlreiche Replikationsversuche nach sich. Die Halbwertszeit dieser Thesen beträgt im allgemeinen zwar nur drei bis vier Jahre, doch fällt das kaum auf, da die nächsten Thesen - die nun den allerneuesten Stand der Forschung widerspiegeln! - bereits wieder auf dem Markt sind.
Bauer (1983) beklagte aus dem Bereich der medizinischen Terminologie "die Schnelligkeit, vielleicht aber auch Schnellebigkeit der Weiterentwicklung einer vor allem durch angloamerikanische Neologismen geprägten internationalen medizinischen Fachsprache. Gelegentlich scheint hier die Schlagwortbildung und die damit verbundene Publizität wichtiger zu sein als Prägnanz und Klarheit der Begriffe selbst" (S.56).
In Deutschland - und ich vermute auch im restlichen Europa - wird unterdessen in der Regel brav und gewissenhaft repliziert, meist mit geringem Erfolg, was nicht verwundert, die eigene Wissenschaft aber noch unpopulärer und griesgrämiger macht. Originäre Forschungsarbeit, die sich mehr auf die eigene Wissenschaftstradition besinnt und sich von der "Publikationsmanie" des US-amerikanischen Wissenschaftssystems nicht außer Atem bringen läßt, ist leider selten. Im deutschsprachigen Raum ist eine solche Emanzipation in den letzten Jahren nur im Bereich der vergleichenden Verhaltensforschung gelungen.
Ein weiterer Teilgrund für die Führungsrolle der USA-Wissenschaft ist außerdem, daß die Wissenschaftssprache englisch ist und der US-amerikanische Durchschnittswissenschaftler nichtenglische Zeitschriften einfach nicht zur Kenntnis nimmt. Aufschlußreich ist der Artikel von H. Nothdurft im Deutschen Ärzteblatt (1983) über die sogenannte Jungfernzeugung. Der Autor hatte in der gleichen Zeitschrift bereits 1966 und 1967 das Vorkommen von Parthenogenese beschrieben und wundert sich nun über folgendes: "In Nature (303 [1983] 336-338) erschien kürzlich ein Bericht über zwei weitere Fälle von In-vitro Parthenogenese eines menschlichen Ovarialeis. Zur Verblüffung des Verfassers wurde die Arbeit alsbald als hochinteressante Erstbeschreibung eines ganz unerwarteten Kuriosums gewertet. Jedenfalls ließ AP/London die Publikation von führenden Fachleuten Englands kommentieren und machte daraus am 27. Mai dieses Jahres eine AP-Meldung für die Medien da Welt. In "Bild" hieß es am 28.5. dieses Jahres: 'Gelungen: Zeugung ohne Mann'. Am gleichen Tag brachte die FAZ die AP-Meldung unter dem Titel "Jungfernzeugung auch beim Menschen? Ein Experiment britischer Forscher".
Wir dürfen sicher sein, daß auch die Richtigstellung Nothdurfts im Deutschen Ärzteblatt "international" - und das heißt: in der angloamerikanischen Fachpresse - ungehört verhallen


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