2 SPRACHE UND WAHRHEIT


2.6 Das Eigenleben der Worte


Ein paar Denkanstöße sollen hier genügen – etwa durch Betrachtung eines beliebigen Badezimmerregals: Darauf steht – und das ist nicht erfunden – eine Flasche mit Haarwaschmittel, auf der wirklich steht: „Wahre Schätze. Der wunderbare Nährer. Schwereloses Haaröl. Nährt, schützt, verschönert“. Daneben steht die Flasche eines deutschen „Ultra Sensitive Sonnenspray“, auf dessen Etikett „Sun Dance“ (Sonnentanz) steht. Und das Deo-Spray auf dem Regal, das man sich in verschwitzte Achselhöhlen sprühen kann, heißt „Große Freiheit“. Wörter, Wörter ... Dabei geht es nicht einmal darum, sie zu glauben, sie selbst schon gar nicht und ihre Bildhaftigkeit auch nicht. Was hier auf uns wirken soll und sicherlich auch wirkt ist der emotionale Hof, den alle Wörter mehr oder weniger – neben ihrem Bedeutungshof! – ebenfalls haben. Das Wort „Freiheit“ ist so ein Sprich-Wort, das Menschen verwenden, ohne eine klare Vorstellung von Freiheit, ja nicht einmal ihrer Freiheit zu haben. Aufgrund der vielfältigen Verwendbarkeit dieses Begriffes wird er in allen Staatssystemen gern benutzt, auch von Diktatoren, politischen wie privaten, von Rücksichtslosen, Gleichgültigen, Selbstsüchtigen, Verantwortungslosen. Das Wort „Freiheit“ ist wohlfeil wie eine grell geschminkte Schönheit auf St. Pauli.
Zu den emotional hoch aufgeladenen Wörtern gehört auch der Begriff „Liebe“. „Freiheit“ und „Liebe“ haben den Vor- und Nachteil, für sich genommen als Argument für ein Verhalten zu dienen. „Tut mir leid, ich habe mich verliebt“, oder: „Ich möchte einfach frei sein.“ Allein die Verwendung dieser Worte schafft für viele eine Tatsache, die keiner tiefer gehenden Begründung mehr bedarf. Die Liebe und das Bedürfnis nach Freiheit sind scheinbar „unhinterfragbar“.


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