2.2 Was ist Würde?


Der Begriff der Würde ist beim Sterben irgendwie fehl am Platze. Ich will auch sagen, warum ich das meine: Es geht doch vor allem darum, daß die Sterbenden nicht leiden, daß sie möglichst gelassen sein können und daß sie ihren Frieden finden. Aber was hat das mit Würde zu tun? Ist es würdelos zu leiden? Ist man ohne Würde, nur weil man ruhelos ist? Kann die Würde sterben, ehe der „Würdenträger“ stirbt? Kann ein Mensch überhaupt jemals „entwürdigt“ werden? Daß der Begriff in den Diskussionen derart nach Belieben herumgekickt wird, liegt an der Tendenz, das Sterben, wenn auch mit wechselnden Begriffen, zu idealisieren.
Im Groben gibt es zwei Vorstellungen von Würde: Bei den einen sind Worte wie „Freiheit“ und „Selbstbestimmung“ die zentralen Begriffe, bei den anderen „Liebe“ und „Fürsorge“. Ordnen wir diese Begriffe europäischen Geistesströmungen zu, dann denken wir bei „Freiheit“ und „Selbstbestimmung“ unwillkürlich an die Aufklärung, bei „Liebe“ und „Fürsorge“ an das Christentum, an seine Tradition der Nächstenliebe und besonderen Heiligkeit des menschlichen Lebens.
Nun ist mit solchen Kategorisierungen für die betroffenen Menschen wenig gewonnen. Doch deckt die Betrachtung auf, wie tief die derzeitige Auseinandersetzung um die Verfügbarkeit des Sterbens zu unseren kulturellen Wurzeln hinabreicht. Damit wird deutlich, wie schwierig es sein wird, in dieser existentiellen Frage Übereinkunft zu erzielen.
Die beiden Schweizer Sterbehilfeagenturen Exit und Dignitas berufen sich ebenso auf die Würde des Menschen wie Hospizbewegung und Palliativmedizin. Dabei führt die Sterbeagentur Dignitas süffisanterweise den lateinischen Begriff für „Würde“ sogar als Name. „Dignitas non moritur“ heißt auf deutsch nicht weniger als „Die Würde stirbt nicht“.
Auch wenn es lateinisch ist: Stimmt das? Wenn ein Mensch seine Würde eh nicht verlieren kann, erübrigt sich jeder Streit, welches das würdevollere Sterben sei: das im Hospiz oder das im Zimmer irgendeiner kleinen Wohnung in der Schweiz, genauer gesagt, in der Gertrudstraße in Zürich. Sie mußte von Dignitas allerdings geräumt werden, weil sich die Nachbarn darüber beschwerten, daß dauernd Särge durchs Treppenhaus getragen wurden. Was heißt in solch einem Szenario „menschenwürdiges Sterben“? Ist unsere Sterblichkeit selbst nicht schon „menschenunwürdig“? fragt sich der moderne Mensch.


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