2.3 Macht und Notwendigkeit der Ethik


Die drei großen Disziplinen der Philosophie sind Logik, Ästhetik und Ethik. Sie entsprechen grundsätzlichen Perspektiven unseres Geistes. Die Logik ist die Fähigkeit, folgerichtig zu denken. Die Ästhetik ist, vereinfacht gesagt, die Lehre vom Schönen. Und die Ethik ist die „Sittenlehre“ und beschäftigt sich mit der Frage, was „gut“ ist: „Was sollen wir tun?“
Je nachdem, ob wir etwas rational betrachten oder nur mit unseren Sinnen oder unter einem moralischen Gesichtspunkt, erscheint ein und dieselbe Sache in einem anderen Licht. Das mag im ersten Moment banal klingen, ist aber von grausamer Konsequenz vor allem dann, wenn Menschen zum Gegenstand der Betrachtung gemacht werden. Denn dann wird rasch klar, daß zwei dieser Betrachtungsweisen auf den Menschen bezogen „unmenschlich“ sind.
Betrachten wir den Menschen allein im Lichte der Logik, dann sehen wir ein oft irrationales, von emotionalen Schwankungen und dumpfen Trieben gesteuertes, auf viele Weisen vielleicht auch unbegabtes Geschöpf. Aus der Masse dieser Geschöpfe ragen dann nur einige wenige Philosophen und Wissenschaftler – gewissermaßen als reine Geistesmenschen – heraus, so wie es dem griechischen Philosophen Platon, gestorben 347 vor Christus in Athen, in seiner Abhandlung „Politeia“ für den idealen Staat vorschwebte.
Betrachten wir den Menschen allein im Lichte der Ästhetik, dann bleiben dem Blick nicht immer ansehnliche, geometrischen Proportionen wenig entsprechende, sich wenig elegant bewegende und noch weniger elegant den Raum füllende Figuren nicht erspart. Hier ragen die Athleten heraus, die Schönen, die Gesunden, die Starken. Jungsein ist die allererste Bedingung, um vor dieser Sichtweise bestehen zu können.
Doch dann ist da die Ethik, die diese beiden Betrachtungsweisen einschränkt und dominiert und ihnen ein apodiktisches „Mag ja sein, aber ....“ entgegensetzt. Im Lichte der Ethik ist jeder Mensch einzigartig – wenigstens vor Gott, nach dessen Bild er geschaffen sein soll. Die Setzung ist, daß jeder Mensch im Lichte der Ethik einen Wert, eine Würde und Lebensrechte habe, die ihm zu rauben zumindest in den Demokratien des 21. Jahrhunderts, wenn auch noch nicht immer, aber immer öfter als „Verbrechen“ gilt.
Unser soziales Zusammenleben funktioniert „auf zivilisierte Weise“ also nur, wenn die nicht-ethischen Betrachtungsweisen wie Logik und Ästhetik im menschlichen Umgang unterdrückt, tabuisiert oder sogar im Sinne der Strafgesetze kriminalisiert werden. Es wurden Teilbereiche dafür reserviert, einerseits Wissenschaft, Wirtschaft und Technik, andererseits Kunst und Sport, in denen sich diese Sichtweisen entfalten dürfen. Aber es sind ethische Denksysteme, die dafür sorgen, daß die Betrachtung des Menschen im Lichte von Logik und Ästhetik bis in ihre letzten Schlußfolgerungen hinein nicht zu Ende gedacht werden kann. Der Inbegriff eines ethischen Denksystems, das Christentum, steht deshalb immer in einem gewissen konträren Verhältnis zu den Prinzipien von Wissenschaft und Kunst.
Deshalb gehört es zum Selbstverständnis heutiger Päpste, bezüglich des sozialen Lebens eine Wächterfunktion einnehmen zu müssen gegen reine Vernunftschlüsse und gegen die Propagierung eines sich selbst erschaffenden und selbstverliebten Ego. Jede Religion, die diese Auseinandersetzung nicht führt, verliert ihren ethischen Gehalt für das Zusammenleben der Menschen. Die Ursache für den ewigen Konflikt der drei Blickwinkel ist strukturell in den Menschen verankert. Sie gründet, wenn man so will, in der „Dreifaltigkeit“ unseres Menschseins.


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