2.7 Humor und der Tod


Als Prinz Boris I. im Ballsaal des Alten Kurhauses zu Köln das Podium betrat, um den Gästen sein Projekt für das Jahr 2006 vorzustellen, saßen die damalige deutsche Gesundheitsministerin und ein Minister des Landes Nordrhein-Westfalen in der ersten Reihe der Zuhörer. Seine Ausführungen fanden Aufmerksamkeit und Anerkennung. In Aachen stellte Boris I. etwas später fest, daß er und seinesgleichen die einzigen seien, die ihre eigene Beerdigung überleben. In der Tat wird am Karnevalsdienstag um Mitternacht der Karnevalsprinz feierlich beerdigt.
Karnevalsprinz Boris Bongers lenkte mit seiner Anregung zum Thema „Karneval und Tod“ den Blick auf nichts Geringeres als auf den Ursprung des Karnevals, dem Inbegriff des Frohsinns und der überschäumenden Lebensfreude: auf den Tod. Auf den Tod und seine Deutung im christlich-abendländischen Weltverständnis.
Es ist also nicht geschmacklos, sondern in einem tieferen Sinn sogar angemessen, wenn der Prinz während seiner Amtszeit mit seinem Hofstaat in vollem Ornat totkranke Menschen im Hospiz, auf der Palliativstation des Universitätsklinikums Köln und auch zuhause besuchte. Im Karneval schwingt immer auch das Wissen um unsere Vergänglichkeit mit. Am Aschermittwoch ist alles vorbei. Es beginnt die Fastenzeit zu Ehren Christi, der am Kreuz gestorben ist. Wirklich „gläubige Narren“ bekommen vom Priester ein Aschenkreuz auf die Stirn gezeichnet oder auf den Kopf gestreut. Der Priester spricht dabei die Worte: „Gedenke Mensch, daß du aus Staub bist und zum Staub wirst du zurückkehren.“ Die Asche ist das Symbol der Vergänglichkeit und das zentrale Symbol des Aschermittwoch.
2011 ist der Zugleiter des Rosenmontagszuges und zugleich Vizepräsident des Festkomitees – auf kölsch – „en dudegräver“ (Totengräber), also ein Bestatter. Er sieht seinen Beruf und sein Ehrenamt im Karneval nicht als Widerspruch, sondern eher als eine Art Ergänzung zu seiner Lebensphilosophie. Den meisten Närrinnen und Narranesen ist der existentielle Hintersinn des Frohsinns wahrscheinlich verborgen, auch wenn sie bei dem neueren Stimmungslied „Es gibt ein Leben nach dem Tod“ mit Tschingderassa den Refrain mitsingen: „Nach dem Tod! Nach dem Tod! Es gibt ein Leben, ein Leben nach dem Tod!“
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß im Rheinland auch auf dem Friedhof Karnevalslieder eine Rolle spielen. Eines der bekanntesten ist „Ich bin ne kölsche Jung“ des 1936 – wo sonst? – in Köln verstorbenen und noch heute hoch verehrten Heimatdichters Willi Ostermann. „Ich bin ne kölsche Jung“ hat in den Kölner Friedhofshallen das „Ave Maria“ als beliebtestes Beerdigungslied abgelöst.
Willi Ostermann verkörperte den kölnischen Frohsinn wie keiner vor und nach ihm. Als er auf dem Sterbebett lag, besuchte ihn ein Freund. Ostermann soll den Arzt um ein Glas Sekt für sich und den Gast gebeten haben („Dot mer noch en Glas Sekt“). Als der Arzt ihm nur ein halbes Glas einschenkte, fragte er den Arzt vorwurfsvoll, ob dies nicht ein bißchen wenig sei, für den langen Weg („Es dat nit en beßje winnig för dä wigge Wäch en et Jenseits?“). Ostermann starb wenige Tage später. Köln erlebte zeitgenössischen Berichterstattern zufolge den größten Trauerzug seiner Geschichte. Als der Sarg in die Grube gesenkt wurde, wurde eines seiner Karnevalslieder intoniert: „Och wat wor dat fröher schön doch en Colonia“. Ob es ein Zufall war, daß der erste 1000-Bomber-Angriff 1942, der das „morale bombing“ im 2. Weltkrieg gegen die deutschen Städte einläutete, gerade Köln traf? Oder spielte dabei psychologische Kriegsführung eine Rolle, den Frohsinn in Deutschland ins Mark zu treffen? Von 1940 bis schließlich 1949 fand in Köln kein Karneval im großen Stil mehr statt.
Der Frohsinn als Aufstand gegen den Tod. Das ist tatsächlich der tiefere Gehalt des Karnevals, wo immer er gefeiert wird. In diese Denkrichtung geht auch der Humor. Die humorvollen Sterbenden, mit denen ich gesprochen habe – es waren nur wenige –, waren frappierend gelassen und von stiller Heiterkeit. Sie alle hatten sich ohne Wenn und Aber mit ihrem Sterbenmüssen abgefunden. Da war kein Kampf mehr, keine Frage mehr „Warum gerade ich?“ Manche dieser Sterbenden, sofern sie nicht gerade körperlich litten, waren geradezu euphorisch, wie ich es ähnlich bei Matrosen im Seesturm erlebt habe. Wenn das Schiff rollte und stampfte, schwankten sie einfach mit und taumelten von Wand zu Wand, ohne der Naturgewalt ein Gleichgewicht entgegenstemmen zu wollen. Sie machten den Rhythmus der Schiffsbewegungen zu ihrem eigenen und wurden gewissermaßen zu einem Teil des Schiffes – und lachten dabei. Den meisten anderen Matrosen war die Naturgewalt unheimlich und beängstigend, weil etwas mit ihnen geschah, das sie nicht beeinflussen konnten. Aber die Mitschwankenden – Mitschunkelnden? – lachten! Offenbar können wir Glücksgefühle haben, wenn es uns gelingt, das Unabwendbare anzunehmen und uns als Teil des großen Stromes zu verstehen, der das Leben immer wieder aus dem Dasein fortreißt und immer wieder gebiehrt.
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Auch die Fastenzeit, die der Besinnung an die Leiden Christi und dessen Opfertod gilt, bleibt vom durchbrechenden Lebens(über)mut nicht verschont. Eine alte klösterliche Regel besagte, daß „Flüssiges das Fasten nicht bricht“. Also brauten die Mönche speziell für die Fastenzeit ein Starkbier mit dem legitimen Ziel, den durch das Fasten geschwächten Körper der Gläubigen zu stärken. Da muß doch Gott ein Auge zudrücken.... Vielleicht hat selbst er Humor... oder gerade er...?
Bemerkenswerterweise sind es nicht Schimpfattacken moralisierender Kleriker, die den viele Jahrhunderte alten vermeintlich oberflächlichen Mummenschanz des Fastnachtstreibens vom Bodensee bis zum Niederrhein vorübergehend zum Erliegen brachten, sondern es war die Humorlosigkeit von Rationalisten, denen im Gefolge der Aufklärung, die nur das Licht der Vernunft noch gelten lassen wollten, das närrische Treiben ein Dorn im Auge war. Der Narr als Inbegriff menschlicher Unzulänglichkeit stand der Kirche näher als dem „Geistesadel“, der ab jener Zeit wie immer geartete „neue“ Menschen schaffen wollte, was in fatale Ideologien im 19. und 20. Jahrhundert ausmündete.
Der Einfluß der Aufklärung auf die Lebensfreude, für die es bei nüchterner Betrachtung des Elends auf der Welt eigentlich wenig Anlaß gibt, wurde jedoch bereits ab dem zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wieder zurückgedrängt. Treibende Kraft war die Romantik, die das Brauchtum vor der Ausmerzung durch „kalten Verstandesreduktionismus“ schützen wollte. Der erste Rosenmontagszug fuhr 1823. Der rheinische Karneval erholte sich in Gegnerschaft zuerst zur napoleonischen Besatzung. So ist der karnevalistische Elferrat eine Verhöhnung des elfköpfigen Jakobinerrates der französischen Revolution. Später mußte sich der rheinische Karneval gegen die preußisch-protestantischen Besatzer durchsetzen. Das Erscheinungsbild der Karnevalsuniformen wurde den Soldatenuniformen jener Zeit entlehnt, damals ein Politikum ersten Ranges. Der Jeck ist also nicht nur jeck.


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